Heimatbesuche bedeuten für mich auch immer, bei Gelegenheit in meine CD-Sammlung reinzuhören. Das ist dann auch immer so ein bisschen eine Reise in die Vergangenheit. Denn mit bestimmten CDs verbinde ich auch bestimmte Erinnerungen. Vor meinem geistigen Auge erscheinen unvermeidlich Bilder, die mich an Momente, Menschen, Orte und Lebensabschnitte erinnern. Kennt ihr das? Falls ja, folgt mir auf eine nostalgische Reise in den Soundtrack vielleicht auch eurer Jugend.
Weil mir keine Peinlichkeit zu unterhaltsam ist und am Anfang immer ein Schocker stehen sollte, beginnt die Serie mit dem krassesten Teil meiner CD-Sammlung: Aqua!
Teil 1: Aqua – „Aquarium“ (1997)
Ja, ernsthaft. Aqua. Ich habe nicht gezögert, dieses Album in meine Best-/Worst-of-Liste aufzunehmen. Ich steh dazu. Warum? Ganz einfach: Jeder hat ja so seine Leichen im Keller oder diese rational nicht zu erklärenden Tonträgerbesitztümer im Musik-Archiv.
Was für die einen Kids der 90er die Backstreetboys und für andere die Spice Girls oder Kellys, waren für mich – zumindest einen Sommer lang – vier Skandinavier namens „Aqua“. Deren für den Mainstream perfektionierter Eurodance-lastiger Bubblegum-Pop verklebte im Sommer 1997 die hiesigen AC-Radiosendeplätze, Transistorkanäle sowie die Restgehirne der kaufwilligen Konsumenten und schlichten Musikgemüter am anderen Ende der Leitung. Also Leuten wie mir.
Bubblegums und Barbie Girls
Noch heute erinnere ich mich an diesen sonnigen Mai-Nachmittag im Auto meiner Mutter und an die Anmoderation des FFH-Moderators, der seinen Hörern vom „neusten großen Ding aus Skandinavien“ vorschwärmte und behauptete, von dort käme auch Jahre nach ABBA [aus Schweden] noch „richtig gute Popmusik“ [aus Dänemark und Norwegen]. Er meinte das hier:
Das Zusammenspiel aus hochfrequentiertem weiblichen Gesang (Barbie aka Lene Grawford Nystrøm Rasted) und geringfrequentiertem männlichem Gesang mit immer mal wieder eingeworfenen, DJ-Bobo’esken „Rap“-Einlagen (Ken aka Glatzkopf René Dif) hatte zumindest Ohrwurm-Charakter. Nervend, aber Ohrwurm, gemacht fürs Radio und den Geldbeutel.
Die Playlist (Audio only):
Mit den Texten auf „Aquarium“ konnte ich nicht wirklich was anfangen. Als „Barbie Girl in a barbie world“ sah ich mich nie. Und enthielt der Song tatsächlich so etwas wie geschickt versteckte Gesellschafts- und Konsumkritik, war mir diese zu subtil verpackt, das Songwriting zu anspruchsvoll. Ich war in der vierten Klasse, hatte noch keine Englischkenntnisse (Unterricht gab’s erst ab der fünften Jahrgangsstufe. An dieser Stelle nostalgisch-freundliche Grüße an Traudel V. und ihren Teddy).
Trash at its best. Urlaub fürs Gehirn.
Abgesehen davon waren mir Texte in Liedern zu dieser Zeit eh egal – schließlich wuchs ich in einem FFH-Haushalt auf, war geprägt von AC-Formatradio („Die besten Hits der 70er, 80er und das Beste von heute“). Die Funktion und der Sinn von Musikhören beschränkten sich dementsprechend auf das nebenbei-Berieseln-Lassen mit eingängigen Melodien. Hauptsache, irgendwas ging ins Ohr und blieb dort. Inhalt? Sekundär, wenn überhaupt.
Mehr als den Refrain oder den Songtitel oder zwei Textzeilen musste man eh nicht kennen, um ein Lied wiederzuerkennen. Alles dazwischen war meist dasselbe und austauschbar. Zu viel Anspruch und Tiefe hätte da nur gestört.
Für jeden Radiohörer was dabei
Daher waren Aqua auch wie gemacht fürs Fernsehen. Ich glaube, ihre Videoclips zählten zu den ersten, die ich in meinem Leben auf VIVA sah (irgendwo zwischen den Hansons und Hans-Peter von Scooter).
Die auf „Barbie Girl“ folgenden Single-Outputs „Doctor Jones“ und „My oh my“ fand ich nicht ganz so peinlich wie „Barbie Girl“. Die vierte Single „Turn back time“ transportierte sogar so etwas wie Seriosität und die Gewissheit oder zumindest die Annahme, dass die flippig gestylte Sängerin (die mich optisch immer so ein bisschen an Enie van de Meiklokjes erinnert) vielleicht sogar richtig singen konnte.
Mal quietschig, mal melancholisch – auf „Aquarium“ war für alle FFH-Hörer das Passende dabei. Bodo Bach gefiel das.
Warum lag ich meiner Mutter damals in den Ohren und wünschte mir dieses Album? Ja, klar, einerseits wegen meiner mangelnden Englischkenntnisse. Anderserseits: Hey, bei so ´ner Musik war, ist und bleibt doch eh egal, wie der Text zur einfach gestrickten Instrumentalbegleitung lautet. Hauptsache, es dudelt wohlig, seelig vergnügt vor sich her, verbreitet gute Laune und macht Spaß.
„Ick kauf dir das nicht. Ist mir zu peinlich“
Irgendwann bekam ich die Aqua-CD tatsächlich geschenkt (nicht, dass es mir wichtig wäre, zu erwähnen, dass ich mir diese CD nie selbst gekauft habe, aber ich fühle mich irgendwie besser dabei) – von Mutters Arbeitskollegin Anja R. Meine Mutter war es laut eigener Aussage zu peinlich, sich mit diesem Album an der „Minimal“-Supermarktkasse anzustellen und die CD für ihre Umwelt sichtbar aufs Band zu legen.
Eins schwöre ich euch: Diese CD werdet ihr nie neben meinem Benutzernamen bei „eBay-Kleinanzeigen“ finden. Man muss zu seinen Jugendsünden stehen. Diese gottverbrannte CD bleibt für immer und ewig in meinem CD-Archiv.
Auf dass selbst meine Kinder und Enkel später einmal darauf stoßen und erfahren werden: Auch ihr Vater und Opa war (wie etwa dieser spätere „taff!“-Moderator) nur ein ganz normaler Mensch und eines von vielen Opfern der populärmusikalischen Geschmacksirritationen und -verwirrungen der 1990er Jahre.
Weitere Folgen aus der Serie „Musikalische Reise in die Jugend“
Episode 2: Rammstein
Rammstein-Sonderausgabe zum Muttertag
Episode 3: The Offspring
Episode 4: Lenny Kravitz
Episode 5: Bloodhound Gang
Episode 6: Red Hot Chili Peppers
Episode 7: Die Toten Hosen
Episode 8: Die Ärzte
Episode 9: Blink-182
Episode 9: Limp Bizkit
Episode 11: Linkin Park
Episode 12: Papa Roach
Episode 13: Eminem
Episode 14: Green Day
Episode 15: Beatsteaks
Episode 16: System Of A Down
Serie „Musikalische Reise in die Studentenzeit“
Folge 1: Nirvana
Folge 2: Oasis
Folge 3: Böhse Onkelz
Folge 4: The Rifles
Folge 5: The Prodigy
6 Gedanken zu “Musikalische Reise in die Jugend. Episode 1: Aqua”