
Schon wieder ein englisches Album der Toten Hosen. In Teil 3 der „Learning English“-Serie reisen die Düsseldorfer ins Liverpool der 50er und 60er – eine Zeit, in der die industrielle Hafenstadt zur Hauptstadt des Rock’n’Roll wurde. Heute zollen ihr Altpunks tanzbaren Tribut.
Liverpool – die traditionsreiche Hafenstadt an der Nordwestküste Großbritanniens. Der Stadtname ist untrennbar verbunden mit zwei der wohl größten popkulturellen Phänomene der Insel: Fußball und Musik. FC Liverpool (korrekt: Liverpool F.C.) und die Beatles.
Die Düsseldorfer Rockband Die Toten Hosen, vor allem deren Sänger Andreas „Campino“ Frege (58), verbindet eine emotionale Beziehung zur britischen Insel und auch zu Liverpool – bereits familiär: Campinos Mutter war gebürtige Britin, einer seiner Brüder brachte ihm in den 70er Jahren den Punkrock nahe. Das England der 70er gilt als Mutterland des Punk.
Campino, die Toten Hosen und Liverpool – eine besondere Beziehung
Redet Campino über den FC Liverpool und Fußballergebnisse, spricht er gerne in der ersten Person Plural („wir“). Bereits der junge Andreas Frege begeisterte sich als eingefleischter LFC-Fan für die „Reds“ und die fußballromantische Magie ihrer Spielstätte, dem Stadion an der „Anfield Road“ – viele Jahrzehnte bevor der lokale Klub mit kultigem Weltformat unter dem deutschen Trainer Jürgen Klopp sowie mit Geldern des amerikanischen Rohstoff-Milliardären John Henry wieder an lang vergangene Erfolgszeiten und glorreiche Erfolge anknüpfte.
Campinos Leidenschaft für Liverpool ist seit Jahrzehnten bekannt und mehrfach dokumentiert, unter anderem in Veröffentlichungen der Toten Hosen oder in TV-Auftritten, etwa wie zuletzt bei Dunja Hayali im ZDF-Sportstudio.
Hope Street: Campino veröffentlicht erstes Buch
Während der Corona-Krise ging „Campino“ unter die Schriftsteller. Am 7. Oktober 2020 veröffentlichte Andreas Frege sein erstes Buch (zum Lesen und zum Hören). Titel: „Hope Street – wie ich einmal englischer Meister wurde“ (Pieper, 22 Euro).
Auf rund 270 Seiten erzählt Campino laut Pressetext „sehr persönlich und very british“ über den Liverpool FC, seine englischen Familie und deren Heimatland, über seine „Sympathie für Queen Elizabeth, die Liebe zu den Beatles“ und über seinen „Ärger über den Brexit“. Ein Buch, das Campinos widersprüchlichen Gefühle zum Land widerspiegele.
Mersey Beat! The soundtrack of Liverpool’s Merseyside
Fast zeitgleich zur Buchveröffentlichung, sechs Tage später, an 13. Oktober 2020, veröffentlicht Campino mit seiner Band den passenden Soundtrack zum Buch: das Album „Learning Englisch Lesson 3“. Untertitel: „Mersey Beat! The sound of Liverpool“.
Ein kurzweiliges Cover-Album, auf dem die Toten Hosen den musikalischen Spirit der Mersey-Beat-Jugendkultur aus den späten 50er- und frühen 60er-Jahren charmant einfangen und den flotten Rock’n’Roll der Vergangenheit schwungvoll in die Neuzeit transformieren. Wem dieser Sound nicht in die Beine geht, wer hier nicht mindestens mit dem Füßen mitwippt, sich nicht zum Tanzen animiert fühlt, hat Rock’n’Roll nie geliebt.
Alle 15 Songs gehen ins Ohr – und bleiben dort. Das ist der entscheidende Unterschied zur vorigen, zweiten Ausgabe der „Learning Englisch“-Serie aus dem Jahr 2017, die dem Album „Laune der Natur“ beigelegt ist. Von den englischen Stücken dort überdauern kaum bis keine Lieder in den Gehörgängen. „Lektion zwei“ krankte daran, dass sie mit 27 Tracks zu umfassend ausfiel. Sie wirkte zu sehr wie eine lose Aneinanderreihung von Lieblingsstücken der Band, gute Songs gingen unter. In „Lektion drei“ halten es die Toten Hosen übersichtlicher, machen es besser.
Learning English, Lesson 3: weniger Songs, mehr Geschichte
„Nur“ 15 Stücke servieren sie ihren Hörerinnen und Hörern. Doch das reicht. Weniger Auswahl bedeutet mehr Potential für Hitdichte.
Der größte Trumpf im Vergleich zum Vorgänger: „Mersey Beat!“ nimmt mit auf eine historische Reise, quasi als Reportage und Dokumentation. Schon deshalb wirkt das Konzept des Albums durchgängiger, erlebbarer und nahbarer als auf allen englischen Hosen-Alben zuvor. Teil 3 macht von allen „Learning Englisch“-Lessons am meisten Laune.
Englischsprachige Alben der Toten Hosen
- Learning Englisch, Lesson 1 (1991)
- Love, Peace & Money (1994)
- Crash-Landing (1999)
- Learning Englisch, Lesson 2 (2017)
- Learning Englisch, Lesson 3 (2020)
Alben/EPs der Toten Hosen mit englischen Liedern (Auswahl)
- Battle of the bands (1985)
- Damenwahl (1986)
- Bis zum bitteren Ende – live! (1987)
- Auf dem Kreuzzug ins Glück (1990)
- Wir warten auf’s Christkind (1998)
- Unsterblich (1999)
- Auswärtsspiel (2002)
- Zurück zum Glück (2004)
- Nur zu Besuch – MTV unplugged (2005)
Zeitloser, tanzbarer Rock’n’Roll für alle Generationen
Erstmals auf einem Hosen-Album, das nur englischsprachige Stücke enthält, erzählt die Band quasi eine zusammenhängende Geschichte – oder zitiert zumindest die Geschichten aller (meist junger, meist arbeitsloser, meist perspektivloser) Menschen, die Ende der 1950er bis Mitte der 196er die musikalische Aufbruchstimmung an der Merseyside initierten, verkörperten, mittrugen, miterlebten.
Viele lokale Bands wurden während des damaligen Beatmusik-Hypes „über Nacht“ zu Stars vermarktet, konservierten ihr Merseyside-Lebensgefühl, ihre Leidenschaft und Liebe für einfache, tanzbare Musik auf Tonträger. Der „Mersey-Beat“ war geboren. Nur wenige dieser Beat-Bands mit einem „The“ im Namen schafften es, den gehypten Trend zu überdauern, mehr als einen Hit zu landen und auch für nachfolgende Generationen relevant zu bleiben.
Zwei dieser Vertreter sind sogar noch 60 Jahre später populär: „Gery and the Pacemakers“, deren Fußballhymne „You’ll never walk alone“ ihren Siegeszug von Liverpool aus in unzählige Fußballstadien weltweit antrat und ebenso zum britischen Kulturgut zählt wie die Musik der bekanntesten und erfolgreichsten Beat-Band aus Liverpool: den „Beatles“. Beide Exportschlager sind auf „Learning English Lesson 3“ vertreten.
They’ll never walk alone: Die Toten Hosen auf den Spuren der Beatles
Das wohl Interessanteste und Wertvollste an der Tribut-Cover-Platte: Die Toten Hosen würdigen mit und auf ihr auch Bands der Merseyside-Ära, die es bisher nicht ins Bewusstsein der breiten Öffentlichkeit geschafft haben. Liverpool-Bands abseits des Beatles-Mainstream-Radars. Unbekannte oder vergessene Beatbands, die trotzdem Songs geschrieben haben, die es lohnt, zu kennen und zu hören. Etwa die „Dennisons“ und „The Fourmist“.
Walk on, walk on: Tribut an Liverpooler Beatbands abseits des Mainstreams
Zwei weitere Künstler werden sogar mehrfach auf dem Album gewürdigt: „Faron’s Flamingos“ (mit zwei Songs) und die „Swinging Blue Jeans“ (drei Coversongs). Keine steile These: Rock’n’Roll-Fans werden durch die Toten Hosen im Jahre 2020 einige neue Perlen entdecken.
Learning Englisch Lesson 3 – Tracklist
- Hippy Hippy Shake (Original: The Swinging Blue Jeans)
- Respectable (The Fourmost)
- Do You Love Me (Faron’s Flamingos)
- You’re No Good (The Swinging Blue Jeans)
- She’s Sure The Girl I Love (The Fortunes)
- Walking The Dog (The Denninsons)
- Bad To Me (The Dakotas)
- Slow Down (The Beatles)
- You Might As Well Forget Him (The Remo Four)
- Shake Sherry (Faron’s Flamingos)
- Needles And Pins (The Searchers)
- I Can Tell (Rory Storm & The Hurricans)
- Sorrow (The Merseybeats)
- Shake, Rattle And Roll (The Swinging Blue Jeans)
- Ferry Cross The Mersey (Gery & The Pacemakers)
Spieldauer: 35 Minuten
Veröffentlicht: 13.10.2020
Produziert von: Die Toten Hosen, Vincent Sorg, Tobias Kuhm
Label, Vertrieb: JKP, Warner
Wertung: 7/10