Madsen und Punk? Na gut, dann nicht. Eine Albumkritik

Was war noch mal Punkrock?
Was war noch mal Punkrock?

Durch die Corona-Krise inspiriert, produzieren und veröffentlichen Madsen kurzfristig ein Protestalbum mit Punkrocksound. Das klingt sympathisch und größtenteils sehr gut. Es gibt da allerdings ein großes Problem.

Coronavirus, Coronaleugner, Lockdown, Michael Wendler – die Menschheit hat es 2020 nicht leicht. Gut, dass es Punkrock gibt. Diesen zeitlosen Retter. Seit rund 40 Jahren legt Punk den Finger in gesellschaftliche Wunden, spricht an, was falsch läuft im marktwirtschaftlichen System, weckt auf, rüttelt auf, klärt auf, spendet Trost, gibt Kraft, verbindet Generationen und soziale Milieus, baut Brücken, verwertet Pfand. Wenn alles den Bach runter geht: Punk bleibt stabil, rotzt den menschlichen Dreck in den Gulli und bleibt selbst am Gullideckelgitter kleben, säuft nie ab, überlebt. Egal welche Krise kommen mag: Punk hat Bestand. Gott sei Punk. Punk sei Dank.

Studentenpoprocker entdecken die Punks in sich

In Zeiten wie diesen erfrischt es sehr, wenn Musik auf dem Release-Radar und Markt auftaucht, die – wie Punk – verspricht, alles mal eben kompromisslos und schnörkellos glattzubügeln und niederzuwalzen, was aktuell belastet, aufregt und nervt. Authentisch, bitterböse, pointiert und hier und dort auch mit dem nötigen Augenzwinkern.

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Na gut dann nicht

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Die Rockband Madsen stellt sich dieser großen Herausforderung und schickt sich an, dieses Bedürfnis zu befriedigen – mit ihrem neuen Album „Na gut dann nicht“, das am 9. Oktober 2020 erschienen ist.

In 30 Minuten thematisiert, kritisiert und verdrischt die Band alles, was ihr seit Ausbruch der Corona-Pandemie im März als Balast auf dem Herzen liegt. Ein gesellschaftskritischer Rundumschlag gegen gefühlt alles und jeden: Narzissten, Politiker, Polizisten, Ewiggestrige, Spießer, Angsthasen, Faulenzer, Frustrierte, Schwurbler, Meinungsstarke, Sozialschwache, …

Ende der 70er entsteht politischer Protest im Wendland. Ende der 70er entsteht der Punk. Das kann kein Zufall sind. Die kausale Konsequenz: Madsen.

„Wir sind mit Protest aufgewachsen“, sagt Schlagzeuger Sascha Madsen in einem Diffus-Interview im Zuge der Album-Promo. Die Band stammt aus dem Landkreis Lüchow-Danneberg im niedersächsischen Wendland nahe Gorleben, das in der öffentlichen Diskussion jahrzehntelang als geplantes, mögliches Atommüll-Endlager thematisiert wurde und wogegen sich seit Ende der 1970er eine Protestkultur etabliert hat.

Politischer Protest sei der Band wichtig, sie gehe dafür immer noch auf die Straße, berichtet Sascha Madsen und fügt an: „Irgendwo in den sozialen Medien einen Kommentar drunterzuschreiben, ist kein Protest“. So werben Madsen auf ihrem Instagramkanal für Protestveranstaltungen wie den FridayForFuture-Klimastreik etwa nicht mit Texten in Kommentaren, sondern posten Protest prominenter: mit eigenständigen, visualisierten Posts (#KeinGradWeiter #FFF). So wird ihr Protest auch online und für potentielle Kunden Kommentatoren besser sichtbar.

Corona durchkreuzt Album-Pläne und Tour

Eigentlich wollten die Madsen-Brüder Sebastian, Johannes (beide Gitarre und Gesang), Sascha (Schlagzeug) sowie Niko Maurer (Bass) dieses Jahr auf Festival-Tour gehen – mit einem neuen Album, das gegen Sommer veröffentlicht werden sollte. Corona durchkreuzte die Pläne.

Und so machten die Bandmitglieder aus der neuen, (un)liebgewonnenen Zeit während Corona das (für Madsen) Beste: Sebastian & Co. legten die Pläne für das geplante Album bei Seite und sammelten Ideen für ein neues Projekt. Ein Punk-Album sollte es sein. Vorbild: Deutschpunk der frühen 90er-Jahre. Und so schrieben Madsen einige Songs und produzierten in Windeseile ein Protestalbum, das den Corona-Zeitgeist aufnimmt und in zeitgemäßen Content kleidet. Punk ist nicht tot.

Während Corona funktioniert Musikmachen auch auf dem Balkon

„Wir haben jede Idee bei diesem Projekt immer sofort umgesetzt“, berichtet Sebastian Madsen. Diese pragmatische Herangehensweise kommt dem Album zu gute. Kein Schnickschnack, sondern ohne Schnörkel geradeaus. Bei Punk wäre Perfektionismus eh fehl am Platz. Was zählt, ist die Message.

Politischer Protestrock mit Punk-Potential

Tempo, nach vorn preschende Drums, verzerrte Gitarren mit simplen Riffs, eingängige Melodien, gesellschaftskritische Texte und auch mal Gebrüll – fertig ist das Punkprojekt. „Na gut dann nicht“ klingt ziemlich nach Punkrock. Auch der Drummer und der Bassist singen mit. Das klingt im Punkrockkontext gar nicht übel – manchmal sogar nach Wölfi von den Kassierern. Passt. Bleibt im Ohr. Singen da wirklich Madsen? Können die bürgerlichen Studentenpoprocker tatsächlich Punk?

Textlich liefern Madsen einige Stilblüten zum Schmunzeln und Kopfnicken. Etwa dann, wenn sie in „Herzstillstand“ den „No future“-Slogan der Punkbewegung auf den aktuellen Zeitgeist übertragen und die Instagram-Generation bemitleidenswert wie sarkastisch fragen: „Willst du wirklich was mit Medien machen, willst du wirklich Influencer werden?“

Inszenieren sich als Punkrockband: Madsen

Auch „Scheiße zu Gold“ trifft den immergrünen Zeitgeist. Hier machen Madsen nichts falsch, wenn sie unglückliche Opfer des Kapitalismus dazu auffordern, nicht (über Dinge wie frustrierende Jobs) rumzujammern, sondern aus jedem Tag das Beste zu machen, selbstbestimmt zu leben, das eigene Schicksal in die eigene Hand zu nehmen. Sollte durch dieses Lied nur ein Büroangestellter seinen Job schmeißen und dadurch glücklicher werden – Madsen hätten ihre Mission als aufrüttelnde Motivatoren wohl hiermit bereits erfüllt. Offenbar gute Männer mit guten Absichten.

Madsen = Indie? Etikettenschwindel 1.0

Alle Musikveröffentlichungen der Band – vom Debüt „Madsen“ (2005) bis inklusive „Na gut dann nicht“ – sind über Majorlabels vertrieben worden: Universal, Columbia, Sony, Warner. Trotzdem bezeichnen und labeln Marketing-Experten, Musikredakteure und Fans die Band regelmäßig als Indie-Rock – wahrscheinlich, weil es so irgendjemand mal in den Wikipedia-Beitrag zur Band geschrieben hat. Wenn es dort steht, wird es stimmen, es stehen ja schließlich Quellen unten im Artikel. Und so gelten Madsen seit mindestens 15 Jahren als Indierockband. Na gut.

Punk: Platz sieben in Charts.

Seit Oktober 2020 gelten Madsen zusätzlich als Punk(band). So schreibt Laut.de, die Gruppe kehre mit ihrem neuen Album „zu ihren Wurzeln zurück“ und würde – Achtung, aufgehorcht! – „ein kompromissloses Punk-Manifest abliefern.“ (#HoheMesslatte) Erstaunlich, wie schnell und radikal die Metamorphose einer bürgerlichen, maximal durchkommerzialisierten Studentenpoprockband zur Punkkapelle in Zeiten einer Viruspandemie offenbar vonstattengeht. Corona macht’s möglich.

Sind wir aktuell nicht alle ein bisschen wütend oder zumindest unzufrieden? Eben. Im Grunde sind wir also alle Punks. Die meisten von uns Gesellschaftskritikern haben bisher leider nur vergessen, sich ein entsprechendes Etikett mit dem Slogan „Achtung Punk“ auf die Gehäuserückseite des MacBooks zu kleben. Na gut, dann nicht. (awo)

Meinen Madsen das mit dem Punk ehrlich? Oder alles nur ironisch? Wollen Sie Punk veräppeln? Kokettieren sie bewusst mit einem Klischee? Erheitert es sie vielleicht sogar, wenn Musikredakteure und Kritiker sich zum mindestens 1000. Mal in der Rezensionsgeschichte über die Glaubwürdigkeit des Labels Punkrock im Musikbusiness auslassen? Vielleicht ist das ja alles nur ein riesengroßer, gut durchdachter, wirkungsvoller PR-Clou. Vielleicht hat der Musikredakteur und Kritiker das womöglich unglaublich subtil und intelligent verpackte Augenzwinkern der Band bei diesem Punkprojekt einfach nur übersehen. Vielleicht sehen Musikredakteure das auch alles einfach nur viel zu eng, diese anspruchsvollen Idealisten.

Madsen: Punks im Kommerzpelz

Das Problem: Wenn die Punkattitüde ironisch und augenzwinkernd gemeint sein soll, kommt es so leider nicht konsequent genug rüber. Das liegt bereits an vermeintlichen Nebensächlichkeiten wie der visuellen Aufmachung des Projektes, zum Beispiel der Sticker mit den Worten „Achtung Punk“, der auf der Frontseite des Artwork klebt.

Da hilft es auch nicht, dass Madsen schon beim Albumnamen auf die korrekte Grammatik und Schreibweise verzichten, um vermeintlich unangepasst daherzukommen. Auch dadurch wird der „Punk“ der Band nicht authentisch.

Print wirkt: Käufer:innen halten Madsen für Punks

Selbst das Zwischen-den-Zeilen-lesen bei den Texten auf „Na gut denn nicht“ macht den Redakteuren nicht schlauer. Klingt und liest sich so, als meinten Madsen das tatsächlich ernst mit dem Punkrock.

Anschlussfähige Protestsongs für Hutbürger

Ironie über Medien funktioniert meistens nicht, sie lässt zu viel Raum für Interpretationen. Das gilt übrigens auch für den Titelsong und Album-Opener: Der Standpunkt des Sängers bleibt darin unkonkret, beliebig und so offen gehalten, dass sich wirklich jede(r) mit dem Inhalt des Songs identifizieren kann („Ich habe eine Stimme und ich habe eine Wahl / Ich spiel nicht mit / Ein fauler Kompromiss – schon weißt du nicht mehr, wer du bist“).

Möglich, dass sich auch Corona-Leugner, Verschwörungstheoretiker und Demokratiefeinde von solchen Texten abgeholt fühlen. Und damit hört der Spaß mit dem Punkspielen dann auf, das Madsen’sche Punk-Experiment droht zu scheitern. Denn Punk geht anders: klare, konkrete Aussagen und Standpunkte, eine klare Positionierung mit klarer Abgrenzung – um gar nicht erst Gefahr zu laufen, falsch und von den Falschen verstanden zu werden. Der Titelsong liefert diese Einordnung nicht. Fehlender Mut oder Kalkül der Band?

Einfach mal die Fresse halten

Wie es besser geht, mit Haltung, wie es sich für wahre Punks gehört, und dass Madsen es auch besser können als im Titeltrack, zeigen sie in „Behalte deine Meinung“. Hier kriegen unter anderem YouTube-Verschwörer ihr Fett weg.

Klare Kante zeigen Madsen auch aussterbenden, alten weißen Männern („A.W.M.“):

Stark, weil glaubwürdig, klingen Madsen, wenn sie auf jegliche aufgesetzte Punk-Attitüde verzichten und als schlichte Rockband daherkommen, etwa in „Wenn Du am Boden liegst„: ein Appell und Plädoyer für Empathie, gegenseitigen Respekt, zwischenmenschliche, charakterliche Stärke und gegen Fremdenfeindlichkeit.

„Wenn Du stolz sein willst auf dieses Land, reich den Schwachen und den Fremden deine Hand / Das ist nicht extrem oder linksradikal, sondern Menschenverstand“, brüllt Madsen den sozial Schwachen da draußen in die Gehörgänge. Und liefert gleich noch den ultimativen therapeutischen Lösungsansatz mit: „Ist dein Leben eine einzige Qual, dann lass dir helfen, verdammt noch mal!“ Textzeilen wie diese machen den Release relevant.

Warum nicht öfter so? Warum nicht durchgängig auf „Na gut dann nicht“?Würden Madsen einfach dieses Wörtchen „Punk“ aus dem Spiel lassen, kämpften sie 2020 nicht gegen ein selbstverschuldetes Glaubwürdigkeitsproblem an.

Madsen: starke Protestsongs ohne Punk

Alle 12 Musikstücke des Albums transportieren guten Inhalt. Das einzige, große entscheidende Problem: Madsen labeln, besingen und verkaufen ihr Album offensiv als Punk. Sie performen ihn aber nicht wie ein Lebensgefühl, sondern authentisch wie ein Geschäftsmodell.

So entbehrt es nicht einer gewissen tragischen Ironie, wenn Madsen – eine Band, die keinen Punk verkörpert, sich aber als Punkband inszeniert – im Song „Protest ist cool, aber anstrengend“ Menschen kritisiert, die nur mitlaufen, sobald es ihnen in den Kram passt, es sich aber ansonsten in einer Komfortzone bequem machen. Madsen besingen sich hier im Grunde selbst. Und plötzlich vernimmt man sie doch noch auf dem Album, diese offensichtlich feine Selbstironie der Band.

Madsen beweisen Selbstironie: Protest ist cool, aber anstrengend

Bitter, schlimm und fast zum Fremdschämen wird die aufgesetzte Punk-Attitüde, wenn Madsen in „Herzstillstand“ voller Inbrunst „für immer Punk möchte ich sein, für immer Punk“ singen und dabei die Goldenen Zitronen zitieren. Dann möchte man Sebastian, Sascha, Johannes und Niko einen fragenden Blick zuwerfen und den Majorlabel-gepimperten Wohlstandsmusikern verschämt zurufen: „Meint ihr das ernst?!“ Gegen Atommüll und für das Klima zu protestieren, ist ehrenwert, macht aber noch niemanden zum Punk.

So steht „Herzstillstand“ quasi sinnbildlich für das Madsen-Projekt „Punkalbum“ im Jahre 2020: Unter’m Strich, streng genommen, schlicht Etikettenschwindel. Eine Band wie Madsen kann da natürlich drüberstehen. „Punk“ sells.

Was war noch mal Punkrock?
Was war noch mal Punkrock?

Da lobt man sich zum Beispiel Axel Kurth, der seit Jahrzehnten mit WIZO kommerziell erfolgreich ist und Punkrock dennoch glaubwürdig verkörpert – alleine schon durch die Wahl der glaubwürdigeren Geschäftspartner (#Label).

Madsen = Punk? Etikettenschwindel 2.0

Die Messlatte Punk liegt zu hoch für Madsen. Ihre gesellschaftskritische Attitüde und Kritik, ihre zeitgemäßen Beobachtungen, Schlussfolgerungen, ehrwerten Ansichten und Absichten – all das mag vorhanden und glaubwürdig sein bei Madsen im Jahr 2020. Aber der Rahmen, die Verpackung passt nicht.

So veralbern die Insta-Punks auf ihrem Instagram-Account die Sex Pistols und erzählen in einem Interview, dass sie ihr Punkalbumprojekt als Spielwiese betrachten. Kann man machen, ist auch nicht schlimm – allerdings anmaßend und respektlos echten Punkrockern gegenüber. Lasst echten Punks doch ihren echten Punk, diese letzte Bastion. Oder verhohnepiepelt ihn zumindest gänzlich unverblümt wie die Ärzte. Oder wählt die wohl beste Option, wenn ihr Punk spielen wollt: Wechselt das Label, werdet wirklich Indie.

Ernst nehmen kann man Madsen als Punkrockband nicht. Das ist schade. Denn offenbar schlummern tief ihn den Bandmitgliedern tatsächlich so etwas wie unangepasste Bürger, die den Drang und die Notwendigkeit verspüren, sich ihres bürgerlichen Korsetts zu entledigen, aus dem Kommerz-Kokon auszubrechen, so etwas wie den Punk in sich zu entdecken, ihn rauszulassen, zu entfesseln, ihn zu artikulieren. Gerade in Zeiten wie diesen, in denen authentischer Punk so gefragt wäre wie lange nicht. Potential dazu haben die Madsens.


Tracklist: „Na gut dann nicht“ von Madsen

  1. Na gut dann nicht
  2. Herzstillstand
  3. Quarantäne für immer
  4. Auf deinem Balkon
  5. Super[sic!]gau
  6. Protest ist cool aber anstrengend
  7. Scheiße zu Gold
  8. A.W.M.
  9. Behalte deine Meinung
  10. Trash Tv
  11. Wenn Du am Boden liegst
  12. Wir nennen dich Mücke
  13. Na gut (Benjamin von Stuckrad-Barre liest und erklärt „Punkrock“)

Spielzeit: 32 Minuten
Vertrieb/Label: Warner, Arising Empire (Kontor)
Veröffentlicht: 9.10.2020


Wertung: 5/10

Fazit: Kurzweilige Platte, die Laune macht – mit guten zeitgenössischen Beobachtungen und pointierten Texten. Entscheidendes Problem: Die Band verkauft sich und das Album als Punk. Das ist unglaubwürdig.

Anspieltipps: Scheiße zu Gold // Protest ist cool aber anstrengend // Behalte deine Meinung // A.W.M. (Alte weiße Männer)

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