What? Schon das neunte Album von Papa Roach?! Das sehr sehr lange Warten auf ein gutes neues Album nach „Infest“ hat ein Ende. Und es hat sich gelohnt.
Ja, Papa Roach haben nach ihrem legendären Erstling „Infest“ (2000) weiter Musik gemacht, Alben veröffentlicht, live gespielt. Sehr fleißig und beständig sogar. Seit nun fast schon rund 20 Jahren touren sie regelmäßig auf den mittelgroßen bis sehr großen Bühnen durch die westlich-kommerziell geprägte Musikwelt. Dort gehören sie (neben Billy Talent) zu den wohl einzigen Rockbands Amerikas, die gefühlt (oder faktisch?) jedes zweite Jahr bei einem großen Festival in Europa Stammgast sind – und zu denen semi-interessierte Festivalbesucher meist hingehen, um „dieses eine Lied“ zu hören (bei Papa Roach: „Last Resort“).
Sowas wie ein Comeback
Dass die vier NuMetal-Legenden zuletzt richtig Bock hatten, live zu performen und gute Shows abzuliefern, war ihnen anzumerken – etwa beim „Summer Breeze“-Festival im vergangenen Sommer. So klingt eine Band, die (wieder) Spaß hat im unbarmherzigen Musik-Biz.
Diese Topform brachten „Papa Roach“ lange Jahre zuvor nicht authentisch auf die Bühnen und Bildschirme. Vermutlich der Fluch des schnellen, (zu) großen Erfolges. Jacoby Shaddix singt nicht umsonst seit 20 Jahren über Depressionen.
Papa Roach versprühen neue Energie
Folgte auf den Millionen- und Platin-Seller „Infest“ das schnell nachgeschobene „Lovehatetragedy“, mit dem die Plattenfirma offensichtlich auf Nummer sicher gehen wollte und Experimente mit Blick auf die schnell zu melkende Zielgruppenkuh scheute, drifteten die brachialen kalifornischen Kakerlaken ab ihrem dritten Longplayer immer mehr in die weichgespülte Radiopop-Schiene – Emo-Outfits inklusive. Was ja per Se nicht schlecht sein muss. Oder zumindest nicht verboten ist.
Nur für „Papa Roach“-Fans der ersten und zweiten Stunde entfernte sich die Band seit Mitte der 00er-Jahre zu sehr von ihren Ursprüngen und Sounds des overcrossenden Nu-Metal und Rapcore, die bis dato im Ohr geblieben waren und den einzigartigen Wiedererkennungswert der Band ausmachten.
Spätestens mit den Alben sechs bis acht (2012-2017) war der Climax in dieser Hinsicht erreicht: Papa Roach unterschieden sich nicht wirklich mehr hörbar von all den Stainds, Three Doors Down und Hoobastanks der AC-Formatradiostationen. Tiefpunkt: RnB-Features mit Autotune. Songwriter Shaddix mochte durchaus bedeutsame, mitteilungswerte und hörenswerte Lyrik überhaben für seine Hörer – seine Zeilen gingen allerdings unter in der ewig gleichen, industriegefertigten Melange.
Vielseitigkeit überrascht positiv
Schwammen die Releases der „Infest“-Postära in den vergangenen zehn bis fünfzehn Jahren ob ihrer aalglatt-produzierten Beliebigkeit unter’m Strich zwischen Belanglosigkeit und kaum bis nicht existierender Wahrnehmung, schafft es das 2019er-Album länger als eine Albumlänge in den Gehörgängen zu bleiben. Vielleicht, weil es zu poppig ist?
Das neue Hörgefühl liegt vor allem daran, das Papa Roach sich mühen, nicht nur auf der Tracklist mehr als einen unterschiedlichen Song beizusteuern. Und weil die Band wieder Kanten spielt. Ein bisschen zumindest. Ein bisschen Aggressivität im Sound hat ihnen noch nie geschadet. Im Gegenteil.
Wenn dann noch ein bisschen tanzbarer Groove dazukommt – umso besser. Die erste Video-Auskopplung zum neuen Album reiht sich nicht ein in die Tophits der Band, ein zweites „Scars“ ist nicht dabei. Ein Fortschritt zu den öden, weil ewig-ähnlichen Popnummern der vorigen drei Alben stellt der Titeltrack des aktuellen Long- bzw. Shortplayers dennoch dar.
Das zwölf Songs und rund 38 Minuten kurze Album klingt abwechslungsreicher als alle „Papa Roach“-Alben zuvor.
Da erklingen Milow-artige Akustikgitarren-Klänge im beschwingten „You’re not the only one“, da heben basslastige R’n’B-Pop-Harmonien den melancholischen Weltschmerz von Sänger Jacoby Shaddix mit „Whoohooo“s gen Heilung bringenden Himmel („Elevate“), da prügeln Gitarrist Jerry Horton, Drummer Tony Palermo und Viersaiter Tobi Esperance so lange auf ihre Instrumente ein, während sich Shouter Shaddix in gewohnter Manier das Seelenleid aus dem Körper brüllt, bis sogar punkartiges herauskommt („I suffer well“). Bereits der Opener, der das Ende beschwört, pumpt gut. Renegade Music.
Dazwischen viel nickelback-bon-jovi-esker Kuschelrock (Ausrutscher in jüngste alte Zeiten: „Come around“, „Feel like home“, „Top of the world“). Aber weil es hier nicht durchgängig viel nickelback-bon-jovi-esken Kuschelrock gibt, hebt sich „Who Do You Trust?“ erfreulich ab von mindestens drei der vergangengen sieben Alben. Vielleicht sogar von allen nach „Lovehatetragedy“ (2002).
Da ist es den Jungs auch nachsichtig nachzusehen, dass der Sound bei „Elevate“ und die visualisierten Video Loops in der gestreamten Album-Tracklist sowie das Artwork-Cover verdächtig nah von Awolnations „Sail“-Optik inspiriert scheinen. Sicher nur Zufall.
Schlechter Pop, guter Pop
Papa Roach sind dem Tod und der Belanglosigkeit von der Schippe gesprungen. Somit besteht weiterhin bzw. wieder die Chance, dass die Kakerlaken nicht ewig nur auf ihr Erstlingswerk reduziert werden. Vielleicht gehen Menschen demnächst sogar auf „Papa Roach“-Konzerte, um nicht nur „Last Resort“ zu hören.
Fazit: „Who do you trust?“ ist kein großer Wurf, aber ein weiter. Immerhin. Bei den Bundesjugendspielen gäbe es dafür die Siegerurkunde. Die vorigen Alben waren eher so Teilnehmerurkunde – quasi das Seepferdchen unter den Rockern. Saiiiiiil!