Mainzer Traditionalisten auf dem rechten Auge blind

Das Firmenlogo der Mainzer Traditionsfirma „Ernst Neger GmbH“ polarisiert: Manche kritisieren, es sei rassistisch. Andere behaupten, diese Kritik sei überzogen. Fakt ist: Über das Logo und die lokale Mainzer Rassismus-Debatte wird kontrovers diskutiert. Inzwischen sogar weit über die Grenzen von Mainz hinaus.

Ein polemischer Kommentar

Niemand behauptet, der Firmenbesitzer oder der Gründer seien Rassisten. Niemand kritisiert, dass beide ihren Nachnamen als Firmennamen nutzen, oder den Namen als Schriftzug neben dem Logo. Darum geht es nicht.

Es geht ausschließlich um das Logo. Und das ist rassistisch, offensichtlich! Es stellt diskriminierende Stereotype aus der deutschen Kolonialzeit zur Schau. Wer das nicht erkennt oder verharmlost, hat im Geschichtsunterricht nicht aufgepasst oder lebt noch in der Vergangenheit. Schlimmstenfalls ist er oder sie auf dem rechten Auge blind.

Im Mainzer Umland scheint das auf erschreckend viele Bürger zuzutreffen. Diesen Eindruck vermitteln zumindest zahlreiche Kommentare und Tweets in den sozialen Online-Netzwerken, unter anderem zum jüngsten Bericht der Mainzer Allgemeinen Zeitung. Die Mehrheit der Facebook-Kommentare zum Bericht, rund 90%, macht klar: beschämend viele Mainzer scheinen nicht sensibel oder Willens genug, die Brisanz dieser grundlegenden, sozialen Debatte zu erkennen – oder gar, sie zeitgemäß kritisch und tiefgehend zu führen.

Oberflächliche Kritik an berechtigter Kritik

Vor allem in den sozialen Online-Netzwerken trollen sie sich in Scharen zusammen: die Kritiker der Logo-Kritiker. Traditionalisten, Konservative, Geschichtsunterricht-Schwänzer,  Fans der Kolonialzeit, verkappte Rassisten, überzeugte Gartennazis, Einfältige, Oberflächliche, Denkfaule oder einfach nur Gleichgültige. Alle sind sie dabei. Fast alle spielen sie das Thema herunter, verharmlosen es. Manche finden es sogar überflüssig, dass darüber berichtet wird.

Und fast alle schimpfen sie auf die Logo-Kritiker. Besonders auf die Studenten und Initiativen, die sich für zeitgemäße gesellschaftspolitische Fragestellungen interessieren, eine längst überfällige lokale Debatte anstoßen und ihre Gehirnzellen sowie ihre Freizeit nutzen, um auf den – auch in Mainz – tief verwurzelten und salonfähigen Alltagsrassimus aufmerksam zu machen.

Präsentiert diskriminierende Stereotype aus der Kolonialzeit: das Logo der traditionellen Mainzer Dachdecker-Firma „Ernst Neger“ (Foto: privat)

Doch was ernten die Kritiker für Ihre berechtigte Kritik? Unsachliche und oberflächliche Kritik.

Uneinsichtige argumentieren, die Kritik am Logo sei völlig überzogen. In den Kommentarspalten im Internet werfen sie den Kritikern „linkes Gutmenschentum“ und „übertriebene Political Correctness“ vor, schmeißen mit inhaltlosen Beleidigungen und fragwürdigen, oft historischen, Vergleichen um sich. Die Anliegen der Kritiker seien überflüssige Hirngespinste, von „dummen Weltverbesserern“ und anderen Menschen, die „zu viel Freizeit und keine anderen Sorgen“ hätten.

Und überhaupt: Diese Studenten. Diese idealistischen, unproduktiven Klugscheißer. Vor allem die Ethnologen. Sollten die Studenten nicht lieber arbeiten, statt ihre Gehirnzellen zu nutzen, um auf soziale Misstände aufmerksam zu machen? – so wie jeder anständige und produktive Mainzer Nicht-Student, der während seiner Arbeitszeit in die Facebook-Kommentarspalten schreibt? Studenten: dieses nichtsnutzige, faule, dekadente Pack. Und dann ist Mainz auch noch voll von denen – eine Studentenstadt, schlimm.

Die „gute alte“ Zeit: Als „Neger“ noch kein Schimpfwort war…

Die immer selben, oberflächlichen Standard-„Argumente“ vieler Menschen, die die ganze Debatte nicht nachvollziehen können oder wollen:

Wo kämen wir denn hin, wenn die Firma das Logo ändern müsste? Es reiche ja bereits, dass man als Deutscher nicht mehr „Mohrenkopf“ und „Negerkuss“ sagen dürfe, ohne in der Öffentlichkeit dafür sanktioniert zu werden. Dürfe man dann demnächst auch nicht mehr „Zigeunerschnitzel“ sagen?! Das führe zu weit, ab in den Kongo mit dieser übertriebenen politischen Korrektheit.

Ja,  was wäre, wenn den Deutschen am Ende auch noch ihr Zigeunerschnitzel verboten würde?  Oder gar die leckere Sarotti-Mohr-Schokolade? Man will es sich gar nicht vorstellen. Armes Deutschland. Wo kämen wir da nur hin? Am Ende dürfen Frauen noch ohne die Erlaubnis ihrer Ehemänner bestimmen, wo und was sie arbeiten wollen. Und Homosexuelle dürfen heiraten. Ah, Moment,… das war ja zur Zeit der Firmengründung gesellschaftlich noch gar nicht anerkannt.

Heißt das, dass alles, was alt und bewährt ist und als Tradition zählt, automatisch gut ist und bestehen bleiben muss? Nein!

Gestern der Mohrenkopf. Morgen das Zigeunerschnitzel?

Gesellschaft ist dynamisch, entwickelt sich stetig weiter. Nur weil das Logo zur Zeit der Firmengründung von der breiten Öffentlichkeit nicht als rassistisch empfunden wurde, heißt es nicht, dass das Logo heute weniger rassistisch ist. Das ist keine überzogene politische Korrektheit, sondern  ein gesundes, modernes Weltbild.

Wer heute eine Firma gründet, könnte sich zu Recht nicht mehr erlauben, ein Logo wie das der Firma Neger zu veröffentlichen – Nachname hin oder her. Und das ist auch gut so.

Heute gilt es zu Recht als diskriminierend, wenn ein schwarzer Mensch auf einem Firmenlogo wie ein versklavter Knecht aus der Kolonialzeit dargestellt wird: als „Bimbo“ mit dicken Lippen, Augenringen und Ohringen, der auf ein Metallstück hämmert.

Die Logos der Firma „Neger“ (Screenshot Homepage)

Wenn sich Menschen an diesem nicht mehr zeitgemäßen Stereotyp eines schwarzen Menschen stören, ist das absolut nachvollziehbar. Entsprechende Kritik ist daher berechtigt, ja, angebracht. Wer die Kritik nicht einmal in Ansätzen versteht, hat ernsthafte Bildungsdefizite. Falls nicht, ist er im Kern wohl einfach ein Rassist – egal ob ein kleiner oder ein größerer, ob bewusst oder unbewusst.

Mit der Zeit und Vorwürfen aus dem Weg gehen: Logo ändern

Trotz aller berechtigter Kritik am Firmenlogo, können oder wollen viele Mainzer die Kritik nicht verstehen. Ihre dogmatischen, finalen Haupt-„Argumente“: Das Logo sei schließlich Bestandteil der Firmentradition. Und für Nachnamen könne der Firmengründer nichts. Das ist richtig. Beides aber ändert nichts am grundsätzlichen Problem, dem Stein des Anstoßes:

Weder der Name noch die Tradition rechtfertigen, dass auch im Jahr 2015 ein Firmenlogo rassistische Stereotype aus der Kolonialzeit zur Schau stellen muss. Die Argumentation, dass man das Logo nicht vom Name und der Tradition trennen könne, ist daher falsch – und nur eine oberflächliche, bequeme Ausrede, um eine berechtigte Kritik und unangenehme Diskussion dazu im Keim zu ersticken.

Wenn eine Redensart stimmt, dann birgt für die Qualität einer Firma deren Name. Wo wäre also das Problem, wenn die Firma Neger die zeitgemäße Kritik anerkennt, mit der Zeit geht und das Logo einfach ändert? Wenn die Qualität der Firma wirklich auf dem Namen und der Tradition beruht, ist ein neues, zeitgemäßes Logo ohne rassistische Stereotype kein Problem. Für die Firma hätte eine Logo-Änderung einen weiteren positiven Effekt: das Image wäre nicht gefährdet.

Der Name Neger: unantastbares Mainzer Kulturgut

Menschen,  die mit der Mainzer Gegend und Kultur nicht allzu vertraut sind, sei erklärt, dass es sich bei der Firma Neger nicht um irgendeine Firma handelt. Der Firmengründer, Ernst Neger, war eine lokale Fassnachtsgröße. Mit Schlagern wie „Humba Tätärä“ und „Rucki Zucki“ wurde der singende Dachdeckermeister ab den 1950er Jahren auch überregional bekannt.

Der Name Neger zählt für alteingesessene, stolze Mainzer daher zum Kulturgut – somit auch das Firmenlogo. Neger ist Mainz, Mainz ist Neger. Wer in Mainz öffentlich wagt, den Namen Neger in Ansätzen zu kritisieren, zieht unweigerlich den Zorn vieler heimatverbundener Mainzer auf sich. Denn bei Tradition hört für den traditionsbewussten, stolzen Mainzer die Kritik auf – sei die auch noch so berechtigt und zeitgemäß.

Alltagsrassismus

Die Mainzer Debatte um das Neger-Firmenlogo in den Online-Foren und Kommentarspalten der Medien (mittlerweile auch überregional) offenbart ganz deutlich: Rassismus beginnt im Alltag und hat dort seine tief verwurzelte Tradition, auch in Mainz.

Das Schlimme: Viele Alltagsrassisten erkennen dieses Problem nicht einmal. Stattdessen verharmlosen sie es. Manche beschimpfen sogar Menschen, die das Problem erkennen, und sich gegen das Problem einsetzen – zum Beispiel die Mainzer Initiativen und Ethnologen. Bedenklich. Beschämend. Entlarvend.

Vermutlich gehört das aber auch schlicht zum Mainzer Selbstverständnis. Schließlich sehen die Bürger der Fassnachts-Hochburg alle Probleme traditionell etwas lockerer.  In Meenz herrscht bekanntlich „Jubel, Trubel und Heiterkeit“, wie es einst bereits Ernst Neger sang. Und das bisschen Alltagsrassismus – ach, auch das sehen viele Mainzer nicht so eng. Alles nur Tradition. Lasst dem Neger doch seinen Neger.

Mainz bleibt Mainz. Humba Tätärä!


UPDATE (12.4.2015): Inzwischen haben mehrere überregionale Medien über das Thema berichtet, unter anderem das NDR-Satiremagazin „Extra3“ mit einem  sehenswerten Videobeitrag.

Die bundesweiten Reaktionen der Facebook- und Twitter-User zur Medienberichterstattung (u.a. hier) beweisen: Die Mainzer sind nicht alleine, Bildungsprobleme und Rassisten gibt es überall in Deutschland.

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