AfD Berlin vergleicht sich mit „Weißer Rose“

Veröffentlicht am 02.11.2015. In: taz, die Tageszeitung*

Erneut protestiert die AfD in Berlin gegen die Asylpolitik der Bundesregierung, erneut sind die AfD-GegnerInnen in der Überzahl. Vor der Demo provoziert die Berliner AfD auf Twitter. Nach der Demo kommt es am „Alex“ zum Bahnchaos.

Rassistische Plakate, Provokationen vor und während der Demo – so lief die zweite AfD-Kundgebung in Berlin innerhalb einer Woche, die sich gegen „Merkels kopflose Politik“ und „ungesteuerte Massenzuwanderung“ richtete.

Wie bei der ersten Demo am 24. Oktober wollte sich die AfD „warmlaufen“ für ihre bundesweite Kundgebung vor dem Roten Rathaus am 7. November. Wie bei der ersten Demo waren die Gegendemonstranten in der Überzahl. Circa 300 AfD-Gegner folgten dem Aufruf des Bündnisses „Stopp AfD“ um „No Bärgida“.

SPD, Grüne und CDU nicht vor Ort

Präsenz zeigten vor allem antifaschistische Gruppen wie die „Revolutionär-Kommunistische Jugend“. Vor Ort waren auch PolitikerInnen der Piraten und Linken, darunter der Landesvorsitzende der Linken, Klaus Lederer.

PolitikerInnen von SPD, CDU und Grüne zeigten sich nicht sichtbar. Zur ersten AfD-Demo hatten deren Landesvorsitzende noch gemeinsam zum Gegenprotest aufgerufen. „Mich überrascht nicht, dass niemand von denen hier ist“, sagte Linksaktivist Dirk Stegemann vor Ort. Er warf der SPD, CDU „und den Papiertigern im Senat“ eine unglaubwürdige Symbolpolitik vor.

GegendemonstrantInnen machen Lärm

Zum Auftakt der Kundgebung versammelten sich circa 100 AfD-SympathisantInnen vor dem Roten Rathaus. Die Polizei hatte den Bereich weitläufig gesperrt, der Park am Neptunbrunnen diente als Pufferzone. Um diese herum versammelten sich circa 300 Gegendemonstranten.

„Wenn man denen zuhört: das ist offen rechts, das ist eine anti-demokratische Partei“ – Doris Hammer (Die Linke Berlin-Neukölln, „No Bärgida“) über die AfD.

Nach 15 Minuten der erste Aufreger: Polizisten eilen auf einen Balkon des Fernsehturms. Dutzende Gegendemonstranten hatten sich von dort eine bessere Sicht auf die hundert Meter entfernte AfD-Kundgebung verschafft. Es bleibt friedlich.

Vor dem Rathaus reden der Brandenburger AfD-Landesvorsitzende Alexander Gauland und der AfD-Europa-Abgeordnete Marcus Pretzell. Ihre Worte gehen mehrfach im Lärm der ProtestgegnerInnen unter.

Antifaschisten blockieren den Weg
Eine Stunde nach Beginn der Kundgebung marschieren circa 200 AfD-lerInnen los, beschützt von fast ebenso vielen Polizisten.

„Wenn die AfD diese lächerliche Anzahl an Demonstranten als Warmlaufen für den 7. November verkauft, brauchen wir keine Angst haben.“ – Aktivist Dirk Stegemann.

Nach dreihundert Metern der erste Stopp. Eine Gruppe Antifaschisten versperrt dem AfD-Tross den Weg, hindert ihn am Weiterlaufen. Dutzende Polizisten drängen die kleine Protestgruppe zurück. „Warum verhaftet die denn keiner?!“, fragt ein genervter AfD-Anhänger einen Polizisten. Touristen fragen Journalisten, warum die Polizei Menschen zurückdrängt, die „Refugees are welcome here“ rufen, Flüchtlingsgegner aber eskortiert.

Einige im AfD-Tross nutzen aus, dass die ProtestgegnerInnen von der Polizei zurückgedrängt werden, stimmen die deutsche Nationalhymne an.

Rassistische Plakate
Nach einer halben Stunde Pause können die AfDlerInnen weiterlaufen – allerdings nicht ihre geplante Route zum Hauptbahnhof. Sie müssen bereits vor der S-Bahnbrücke zum Fernsehturm abbiegen. Vor dem Bahnhof kommen sich beide Gruppen so nah wie nie an diesem Abend. Der AfD-Zug zieht vorbei, Fahnen wedeln. Deutschland, Israel, Russland.

Auf ihrer Homepage hatte die AfD Berlin „ausdrücklich auch alle Berliner mit Migrationshintergrund“ aufgerufen, teilzunehmen. Ob die Plakate mit den Slogans „Keine Extrawürste für den Islam“ und „Neukölln bald in ganz Berlin?“ von BerlinerInnen mit Migrationshintergrund stammen, bleibt vor Ort unklar.

Nachdem sich Journalisten, vis-a-vis zum AfD-Tross, die Slogans aller Plakate notiert haben, werden die rassistischen Plakate im Verlauf der Demo nicht mehr hochgehalten.

AfD Berlin wirbt mit Bildern der Geschwister Scholl
Vor der Demo hatte die AfD Berlin auf Twitter provoziert. Dort warb sie mit dem Slogan „Charakter zeigt sich, wenn alle gegen einen sind“ – und platzierte im gleichen Tweet ein Foto von Hans und Sophie Scholl.

Die Geschwister Scholl kämpften ab 1942 in der studentischen Widerstandsbewegung „Weiße Rose“ gegen das faschistische NS-Regime. Am 22. Februar 1943 wurden die Scholls mit dem Fallbeil hingerichtet. Die „Weiße Rose“ gilt als Symbol für antifaschistischen Widerstand sowie für die Bereitschaft, sich für demokratische Ideale einzusetzen und die Würde des Menschen zu achten.

Mehrere Twitter-Nutzer empörten sich über den Tweet der Berliner AfD. Auf die Kritik eines Nutzers, dass eine Verbindung der AfD mit den Scholl-Geschwistern anmaßend sei, antwortete die AfD Berlin in einem weiteren Tweet: „Die Weiße Rose war nicht links. Sie war christlich-konservativ – wie wir :-)“.

Auf der Demonstration waren keine Anspielungen zu den Scholl-Geschwistern zu sehen.

Kritik an Senat: „falsches Signal an die Besucher von Berlin“

Gerwald Claus-Brunner, Abgeordneter der Piraten,  kritisierte Senator Frank Henkel mehrfach. Es sei „unerträglich“, dass Henkel der Demo „so viel Raum“ gebe. „Eine Fläche, wo 20.000 Menschen reinpassen, derart großflächig für nur 200 Demonstranten abzuriegeln ist auch polizeitaktisch irrsinnig.“ Zudem könne es nicht sein, dass „die AfD mit einer Israelflagge rumlaufen und Muslime provieren darf“.

Die Auflagen der Demo seien „ein falsches Signal“ an die Besucher Berlins,  kritisierte der Piraten-Abegeordnete. Vor allem Touristen könnten den Eindruck erhalten, dass „Nazis in Berlin wieder stärker werden“. Claus-Brunner warf Innensenator Henkel vor, sich nicht gegen die AfD zu positionieren. Henkel mache sich so „zum Mithelfer dieser Bewegungen“.

Gegen Ende der Kundgebung hatte die Polizei Probleme, Passanten von den sich gegenüberstehenden Protestgruppen am Fernsehturm fernzuhalten. Trotz Polizeiketten spazierten Passanten, vor allem Touristen, hinter den Rücken der PolizistInnen durch die Sperrzone – unmittelbar neben die beiden Protestgruppen und teils erhitzten Gemüter.

Nach der Demo: Chaos im Bahnhof Alexanderplatz
Nach drei Stunden löste sich die Demo vor dem Fernsehturm offiziell auf. Vorbei war die Veranstaltung damit nicht. 20 Minuten sperrte die Polizei den Zugang zum U-Bahnhof Alexanderplatz. Sie eskortierte die AfD-Demonstranten zu den Gleisen und hielt die Gegendemonstranten in der Vorhalle fest.

Umherirrende, fragende und genervte Fahrgäste, darunter viele Touristen, verwies die Polizei zur S-Bahn. Doch auch die S-Bahnzugänge waren gesperrt – ein Mensch war kurz zuvor auf einem S-Bahngleis überfahren worden. Ein BVG-Mitarbeiter vor Ort sagte, der Todesfall stünde in keinem Zusammenhang mit der Demonstration.

„No Bärgida“ berichtete, dass es nach der Demo zu einem „brutalen Polizeieinsatz gegen zwei junge Gegendemonstrantinnen“ gekommen sei. Eine der Frauen soll von Polizisten mit dem Kopf auf den Boden geworfen worden sein, dort minutenlang bewusstlos gelegen haben. Sie hätte vom Notarzt versorgt werden müssen.

*Die Version des Berichts in diesem Blog ist eine andere, u.a. ausführlichere, als die in der taz veröffentlichte.

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